Jonathan Meese: Erzstaat Atlantisis (Diesen Link besuchen)
https://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3832192190/frankreichde-21
Eingetragen am: Montag, 27.07.2009
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Meese in Höchstform
Hans-Joachim Julius Erdmann
Geschrieben von: Hans-Joachim Julius Erdmann, Montag, 27.07.2009
Der Bahnhof von Rolandseck ist ein gediegener Ort, sauber, ordentlich und klassizistisch in der deutschen Provinz am Rhein. Zum Arp-Museum im Tal gehört ein Neubau auf einer Anhöhe, der durch einen begwerkartigen Tunnel über einen Aufzug erreicht wird. Vor dem Tunnel sieht man durch große Glasfenster eine verwilderte Lichtung, die von Wald umgeben ist. Am Übergang zum Wald steht das erste Werk von Meese: eine männliche Gestalt mit Stahlhelm und Gesichtsschutz steht mit vorgehaltenem Revolver hinter einem knienden weißlich scheinen Wesen, das die Arme zum Zeichen des Ergebens erhoben hat. Zu erkennen sind übergroße Augenhöhlen und Hände, eine riesige aus dem Mund hängende Zunge und ein Penis, der sich gleich einer Schlange aus dem Körper windet.
In dieser Umgebung wirken die Beiden geradezu verstörend. Als sei man in der Idylle des Sonntagsspaziergangs plötzlich in Kampfhandlungen verwickelt. "Don't call us, we call you" ist der Titel. Es kommt mir wie ein Motto vor: Nicht Rolandseck hat Meese gerufen sondern Meese hat sich Rolandseck als Ort der Verkündigung ausgesucht. Im Tunnel deklamiert seine Stimme endlos über Lautsprecher die Diktatur der Kunst. Bei der Fahrt im Aufzug nach oben fordert Meeses Stimme als nächsten Schritt die Entdemokratisierung. Oben angekommen, steht vor uns das Alter Ego Meeses mit militärischem Gruß. Die Plastik "Dr. No (Meesaint Just II Mein Ich, die Wahrheit)" steht mitten im ansonsten leeren und lichtem Gang genau vor den Aufzugtüren.
Wer es bis jetzt nicht bemerkt hat: es geht militärisch zu. Das hier entfaltete Universum des Jonathan Meese ist bevölkert von Zombies, Soldaten, Uniformen, Waffen, Excrementen, Tod und Kampf. Endzeitstimmung. Der Erzstaat Atlantisis. Da lehnt man sich nicht zurück. Denn das unter ADS leidende Babylanstis hat sich vorgenommen, uns zu terrorisieren. Unsere heile saubere Welt, Weinfest am Rhein, adrette Fassaden. Gleich links im Ausstellungssaal hat Meese an die Wand geschrieben "BABYLANTIS SAGT: DIE DIKTATUR der KUNST HAT IMMER RECHT".
Ich frage mich, was Bürgermeister oder Ministerpräsidenten denken, wenn sie sich so etwas ansehen. Im Rolandseckmanifest 1. Totale Demut steht "der Mensch möge von sich absehen und die "Machtübernahme" der Kunst liebevollst willkommen heißen. ... Die totale Kunst ist die 1., einzige und letzte menschenmachtsfreie Weltanschauung."
Mehrfach begegne ich in dieser Ausstellung Immendorf. Zunächst zwei Bilder, auf denen Immendorf abgebildet ist, rauchend. Einmal durch Pfeile nach unten verwiesen, im Hintergrund ein Strichmännchen in Bewegung mit Maler-Palette als Kopf auf der Jonathan steht. Der "Erzmönch Jörg der I." Auf dem zweiten Bild hat das Strichmännchen eine Fahne in der Hand auf der Atlanisis steht. Immendorf wirkt streng. Er soll viel von sich und Anderen gefordert haben.
Die dritte Begegnung mit Immendorf ist ein schwarzes Podest, in dessen Mitte sich eine Grube befindet, in der der TOTALADLER, Baby-CHEF der Kunst (das Ei des Columbussy) wacht. Auf dem Boden liegen Skelettteile und eine Fahne. Mich erinnert diese Installation an den "Standort für Kritik", den Immendorf 2004 in Köln im Museum Ludwig gezeigt hatte. Bei Immendorf war das Podest rot. Auch der Adler war ein wiederkehrendes Motiv bei Immendorf. Bei Meese wachen zehn wilde Gestalten als Büste in einem Rechteck um die Grube.
Mir scheint, dass Meese dem fast schon romantischen Glauben Immendorfs an Veränderung durch Vernunft hier Macht, Tod und Gewalt entgegensetzt. Beide, Immendorf wie Meese, reflektieren ihr eigene künstlerische Position in Bezug auf die Gesellschaft. Sie fragen sich, was ihre Kunst in der Gesellschaft leisten kann. Während Immendorf zumindest in seinen frühen Jahren glaubte, durch Aufklärung zu einer "Verbesserung" der Gesellschaft beitragen zu können oder müssen, kommt Meese zum Schluss, dass die Natur es richten wird. In der Natur geschehen die Veränderungen durch Tod und Geburt. Ein Kreislauf, der durch Gewalt beschleunigt wird. Die Aufklärung wird anekdotisch. Im Angesicht dieser Erkenntnis schafft Jonathan Meese Spielzeug, mit dem wir uns die Zeit vertreiben und vielleicht die Angst vor der Zukunft verlieren können. Mit seinem Spielzeug können wir uns an Tod uns Vergänglichkeit gewöhnen.
"Ich, Jonathan Meese, produziere im demütigsten Fall totales Spielzeug für alle und alles. Dieses Spielzeug ist unschuldig, wie die demütige Tierwelt."
Ich finde die Ausstellung sehr sehenswert. Der Katalog dazu ist von guter Qualität auch wenn ein Bild im Verzeichnis der ausgestellten Werke fehlt. Eine Abbildung findet sich aber im Bildteil, der einen guten Überblick über die Ausstellung gewährt. Auf den 176 Seiten findet sich außerdem ein deutsch-englischer Textteil, der sich ausführlich mit der Welt des Jonathan Meese beschäftigt. Beigegeben ist eine DVD mit einem Film über die Performance, die Meese zur Ausstellungseröffnung in Remagen veranstaltete. Außerdem ist der Audioführer und ein Fototeil enthalten. Mit diesem Katalog erhält man also einen sehr guten Überblick, auch wenn man die Ausstellung nicht besuchen konnte.
In dieser Umgebung wirken die Beiden geradezu verstörend. Als sei man in der Idylle des Sonntagsspaziergangs plötzlich in Kampfhandlungen verwickelt. "Don't call us, we call you" ist der Titel. Es kommt mir wie ein Motto vor: Nicht Rolandseck hat Meese gerufen sondern Meese hat sich Rolandseck als Ort der Verkündigung ausgesucht. Im Tunnel deklamiert seine Stimme endlos über Lautsprecher die Diktatur der Kunst. Bei der Fahrt im Aufzug nach oben fordert Meeses Stimme als nächsten Schritt die Entdemokratisierung. Oben angekommen, steht vor uns das Alter Ego Meeses mit militärischem Gruß. Die Plastik "Dr. No (Meesaint Just II Mein Ich, die Wahrheit)" steht mitten im ansonsten leeren und lichtem Gang genau vor den Aufzugtüren.
Wer es bis jetzt nicht bemerkt hat: es geht militärisch zu. Das hier entfaltete Universum des Jonathan Meese ist bevölkert von Zombies, Soldaten, Uniformen, Waffen, Excrementen, Tod und Kampf. Endzeitstimmung. Der Erzstaat Atlantisis. Da lehnt man sich nicht zurück. Denn das unter ADS leidende Babylanstis hat sich vorgenommen, uns zu terrorisieren. Unsere heile saubere Welt, Weinfest am Rhein, adrette Fassaden. Gleich links im Ausstellungssaal hat Meese an die Wand geschrieben "BABYLANTIS SAGT: DIE DIKTATUR der KUNST HAT IMMER RECHT".
Ich frage mich, was Bürgermeister oder Ministerpräsidenten denken, wenn sie sich so etwas ansehen. Im Rolandseckmanifest 1. Totale Demut steht "der Mensch möge von sich absehen und die "Machtübernahme" der Kunst liebevollst willkommen heißen. ... Die totale Kunst ist die 1., einzige und letzte menschenmachtsfreie Weltanschauung."
Mehrfach begegne ich in dieser Ausstellung Immendorf. Zunächst zwei Bilder, auf denen Immendorf abgebildet ist, rauchend. Einmal durch Pfeile nach unten verwiesen, im Hintergrund ein Strichmännchen in Bewegung mit Maler-Palette als Kopf auf der Jonathan steht. Der "Erzmönch Jörg der I." Auf dem zweiten Bild hat das Strichmännchen eine Fahne in der Hand auf der Atlanisis steht. Immendorf wirkt streng. Er soll viel von sich und Anderen gefordert haben.
Die dritte Begegnung mit Immendorf ist ein schwarzes Podest, in dessen Mitte sich eine Grube befindet, in der der TOTALADLER, Baby-CHEF der Kunst (das Ei des Columbussy) wacht. Auf dem Boden liegen Skelettteile und eine Fahne. Mich erinnert diese Installation an den "Standort für Kritik", den Immendorf 2004 in Köln im Museum Ludwig gezeigt hatte. Bei Immendorf war das Podest rot. Auch der Adler war ein wiederkehrendes Motiv bei Immendorf. Bei Meese wachen zehn wilde Gestalten als Büste in einem Rechteck um die Grube.
Mir scheint, dass Meese dem fast schon romantischen Glauben Immendorfs an Veränderung durch Vernunft hier Macht, Tod und Gewalt entgegensetzt. Beide, Immendorf wie Meese, reflektieren ihr eigene künstlerische Position in Bezug auf die Gesellschaft. Sie fragen sich, was ihre Kunst in der Gesellschaft leisten kann. Während Immendorf zumindest in seinen frühen Jahren glaubte, durch Aufklärung zu einer "Verbesserung" der Gesellschaft beitragen zu können oder müssen, kommt Meese zum Schluss, dass die Natur es richten wird. In der Natur geschehen die Veränderungen durch Tod und Geburt. Ein Kreislauf, der durch Gewalt beschleunigt wird. Die Aufklärung wird anekdotisch. Im Angesicht dieser Erkenntnis schafft Jonathan Meese Spielzeug, mit dem wir uns die Zeit vertreiben und vielleicht die Angst vor der Zukunft verlieren können. Mit seinem Spielzeug können wir uns an Tod uns Vergänglichkeit gewöhnen.
"Ich, Jonathan Meese, produziere im demütigsten Fall totales Spielzeug für alle und alles. Dieses Spielzeug ist unschuldig, wie die demütige Tierwelt."
Ich finde die Ausstellung sehr sehenswert. Der Katalog dazu ist von guter Qualität auch wenn ein Bild im Verzeichnis der ausgestellten Werke fehlt. Eine Abbildung findet sich aber im Bildteil, der einen guten Überblick über die Ausstellung gewährt. Auf den 176 Seiten findet sich außerdem ein deutsch-englischer Textteil, der sich ausführlich mit der Welt des Jonathan Meese beschäftigt. Beigegeben ist eine DVD mit einem Film über die Performance, die Meese zur Ausstellungseröffnung in Remagen veranstaltete. Außerdem ist der Audioführer und ein Fototeil enthalten. Mit diesem Katalog erhält man also einen sehr guten Überblick, auch wenn man die Ausstellung nicht besuchen konnte.
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